Studienprojekt der Forschungsstelle für experimentelle Ergo- und Physiotherapie

Fr., 23.11.2018 - 20:45 von , zuletzt bearbeitet am 03.02.2020 - 13:52

Elektrische Anregung von Phantomempfindungen für amputierte Gliedmaßen 

Ein 25-jähriger Schüler einer Berufsfachschule hatte sein rechtes Bein infolge eines winterlichen Verkehrsunfalls eingebüßt. Die zerquetsche Masse musste einige Zentimeter unterhalb seines Knies amputiert werden. Seitdem bewegt sich der Patient mit Hilfe einer Beinprothese. Als eines Tages seine Katze verschiedene Stellen seiner rechten Hand leckte, fühlte er zu seinem Erstaunen einzelne Teile seines verlorenen Beines wieder. Diese Beobachtung lieferte den Ansporn an ihm ein Phänomen genauer zu beobachten, das auch von vielen anderen Körperversehrten beschrieben wird, der Wahrnehmung von Phantomgliedern.

Was war nach der Amputation der Beines geschehen, dass Pinselstriche über bestimmte Stellen der Handinnenfläche geführt ähnlich der leckenden Katzenzunge Phantomempfindungen für Ferse, Fußgewölbe und Ballen des verlorenen Beines auslösten?

Die Amputation einer Extremität unterbricht Nervenbahnen, die in einem besonderen Feld der Hirnrinde enden. Weil durch diese Bahnen keine Nervenimpulse mehr geleitet werden, zerfallen deren Kontaktstellen an den Nervenzellen des Zielgebietes der Hirnrinde. Sie werden teilweise von neuen Kontaktstellen ersetzt, die Faserverbindungen aus benachbarten Rindenfeldern anlegen. So können beispielsweise nach der Amputation des rechten Fußes, die von der rechten Hand ausgehenden und in das entsprechende Handfeld der Hirnrinde leitenden Nervenbahnen mit Endverzweigungen in das benachbarte, brachliegende Fußfeld der Hirnrinde einwachsen und dort Kontakte mit dessen Nervenzellen schließen. Berührungen eingrenzbarer Hautzonen der rechten Hand lösen folglich nicht nur Empfindungen für die Berührung der Hand, sondern auch Empfindungen für einzelne Teile des Fußes aus.

In Fortsetzung unserer Einzelfallstudie zeigte sich, dass auch schwache, elektrische Impulsströme auf die entsprechenden Stellen der Handinnenfläche geleitet die gleichen Phantomwahrnehmungen hervorrufen. Mit Hilfe eines tragbaren Impulsgenerators, der von zwei Kontaktsensoren im Ballen- und Fersenteil der rechten Schuhsohle gesteuert wurde, konnten entsprechende Stromkreise zu den rezeptiven Feldern für Ballen und Ferse der Handinnenfläche im Takt des Schreiten geschlossen und geöffnet werden (Siehe Abbildung). Der versehrte junge Mann hatte dabei das Gefühl mit zwei intakten Beinen zu laufen.

Da sich nach der Amputation einer Extremität und der damit verursachten Durchtrennung von Nervenbahnen, die beschriebene Reorganisation in brachliegenden Funktionsfeldern der Hirnrinde abspielt, ist damit zu rechnen, dass auch anderen körperversehrten Menschen an Stellen ihrer Körperoberfläche rezeptive Felder heranwachsen, von denen sich mit Hilfe elektrischer Reizimpulse gezielt Phantomempfindungen für einzelne Teile der verlorenen Extremität auslösen lassen. Gegenwärtig wird im Rahmen einer Feldstudie die Praktikabilität des beschriebenen Phantomstimulators an einer größeren Anzahl beinversehrter Personen erprobt.

Schrittgesteuerter Phantomstimulator für Teile einer unteren Extremität:

A) Elektrodenpaare in je einem rezeptiven Feld der Innenhand, von dem sich Phantomempfindungen für ballen und Ferse des verlorenen Fußes auslösen lassen.

B) Impulsgenerator mit Funkempfänger

C) Sender am Schaft der Prothese

D) Schuhsohle mit Kontaktsensoren im Ballen- und Fersenteil. 

Das Deutsche Patent- und Markenamt München hat den hier beschriebenen Phantomstimulator, eine Vorrichtung zur Anregung von Phantomempfindungen für amputierte Gliedmaßen als Gebrauchsmuster Nr. 20 2011 002 819.4 registriert.

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