Datenschutzrecht in der qualitativen Forschung
Grundlagen
Forschungsprojekte speziell in den Sozialwissenschaften beschäftigen sich mit Daten, die einen Personenbezug aufweisen, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen. Der rechtssichere Umgang mit diesen Daten ist relevant, so dass im Folgenden die wesentlichen Grundlagen des Datenschutzrechts in Bezug auf die qualitative Forschung dargestellt werden. In weiteren Artikeln werden diese Gedanken vertieft und spezielle Anwendungsbereiche analysiert.
1. Datenschutzrechtlicher Grundsatz
Im Datenschutzrecht gilt der Grundsatz, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten unzulässig ist, soweit nicht eine gesetzliche Vorschrift die Verarbeitung erlaubt. Hieraus abgeleitet stellen sich u. a. die Fragen nach den Definitionen der personenbezogenen Daten und der Verarbeitung. Personenbezogene Daten in diesem Sinne sind Informationen, die sich auf eine betroffene Person (Mensch, die betroffene Person) beziehen. Betroffene Person ist eine identifizierte oder identifizierbare Person auf die sich personenbezogene Daten beziehen (dieses sind im Rahmen der qualitativen Forschung in der Regel die beforschten Personen). Der Begriff der Verarbeitung ist weit zu verstehen, danach ist Verarbeitung jedes Erheben, Erfassen, Organisieren, Ordnen, Speichern, Anpassen, Verändern, Auslesen, Abfragen, Verwenden, Offenlegen, Abgleichen, Einschränkung, Löschen oder Vernichten von personenbezogenen Daten (Im Rahmen von Studien sind sowohl das Erheben, Speichern und Transkribieren sowie Verwenden, aber auch das Löschen der Daten.).
Derjenige, der die personenbezogenen Daten verarbeitet wird von der DS-GVO Verantwortlicher genannt, das ist derjenige der über die Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet, dieses kann alleine oder mit anderen zusammen erfolgen (Dieses wird in der Regel der Forscher sein, es sind Ausnahmen existent.). Schwierig kann dieses in Forschergruppen werden.
2. Erlaubnis zu Verarbeitung
Damit personenbezogene Daten verarbeitet werden dürfen muss nach Art. 6 DS-GVO ein Erlaubnistatbestand vorliegen. Dieses ist zunächst die Einwilligung der betroffenen Person in die Verarbeitung der Daten. Die Einwilligung ist eine Willenserklärung, die die betroffene Person freiwillig und für den konkreten Zweck abgibt und dazu vorher informiert worden ist, dabei muss aus dieser unmissverständlich hervorgehen, dass die betroffene Person mit der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zum den bestimmten Zweck einverstanden ist.
Dazu ist es erforderlich, dass die betroffene Person geschäftsfähig ist. Zudem muss der betroffenen Person mitgeteilt werden, zu welchem Zweck, in welchem Umfang und mit welcher zeitlichen Beschränkung die Verarbeitung ihrer Daten rechnen muss. Daher handelt es sich um eine sogenannte informierte Einwilligung. Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten darf dann auch nur innerhalb dieser Grenzen erfolgen.
Die weiteren Ausnahmetabestände des Art. 6 DS-GVO werden zunächst außer Betracht gelassen und sind meistens für die qualitative Forschung nicht relevant.
3. Datenschutzgrundsätze
Nach Art. 5 DS-GVO sind Grundsätze der Verarbeitung personenbezogener Daten zu beachten (durch diese können viele datenschutzrechtliche Probleme erkannt und eventuell gelöst werden):
Rechtmäßigkeit: Die Erhebung von personenbezogenen Daten muss rechtmäßig sein, d. h. es muss eine gesetzliche Erlaubnisvorschrift vorhanden sein. Hierrunter fällt auch die Einwilligung.
Transparenz: Die betroffene Person muss die Verarbeitung der eigenen personenbezogenen Daten nachvollziehen können. Hierzu sind die Verarbeitungsschritte darzulegen (s. u. Rechenschaftspflicht). Ein Verarbeitungsverzeichnis kann dabei helfen.
Zweckbindung: Der Zweck der Verarbeitung (durch Einwilligung oder Gesetz) muss eingehalten werden. Weitere Verarbeitungen benötigen eine weitere Erlaubnis, was durch eine zweite Einwilligung erfolgen könnte.
Datenminimierung: Die Datenerhebung ist auf (das erforderliche) Minimum zu beschränken. Dieses könnte bei qualitativen Studien schwierig werden, da diese ergebnisoffen gestaltet werden und im Rahmen der Datenerhebung (z. B. narrative Interviews) offen gestaltet werden (oder auch im Sinne der Grounded Theory).
Recht des Vergessenwerdens: Personenbezogene Daten dürfen nur solange gespeichert werden, wie dieses erforderlich ist, Speicherbegrenzung. Länger dürfen diese nur gespeichert werden, wenn deren Sicherheit gewährleistet ist und diese Daten u. a. für Archivzwecke oder wissenschaftliche Forschungszwecke genutzt werden. Wann dieses der Fall sein kann ist derzeit noch unklar.
Integrität und Vertraulichkeit: Die verantwortliche Person muss gewährleisten, dass die personenbezogenen Daten geschützt werden (u. a. durch technische Vorrichtungen). D. h. dass die verantwortliche Person sicherstellen muss, dass die personenbezogenen Daten nicht von Dritten verarbeitet werden können.
Rechenschaftspflicht: Der Verantwortliche muss die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften der betroffenen Person nachweisen. Eine Dokumentation der Verarbeitung ist erforderlich (speziell, wenn mehrere Personen an der Verarbeitung beteiligt waren, große Datenmengen verarbeitet werden oder die Daten über einen längeren Zeitraum verarbeitet werden, z. B. durch ein Verarbeitungsverzeichnis).
Bei Beachtung dieser Grundsätze können mögliche Schwächen des Datenschutzniveaus festgestellt werden, aber auch Lösungen für die Schwächen gefunden werden. Wichtig ist, dass die Perspektive des Datenschützers eingenommen werden muss und nicht die Perspektive des Forschers, der versucht sein Vorgehen unter die Vorschriften zu subsumieren. Eine grundlegend kritische Perspektive ist angebracht.
4. Besonderheiten im Rahmen der qualitativen Forschung
In Forschungsprojekten ist es denkbar, dass folgende Aspekte auftreten/zu beachten sind:
Grundsätzlich darf keine Person zu identifizieren sein. Identifizierbar ist eine Person, wenn sie direkt oder mittelbar zuzuordnen ist durch: „... Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität ...“ (In qualitativen Studien ist es möglich, dass die betroffenen Personen sehr viele personenbezogen Daten verraten. Anderen Personen ist dann eventuell möglich durch eine Triangulation diese Person zu identifizieren. Wenn Geschlecht genannt wird, reduziert sich die Erkennbarkeit schon auf ca. die Hälfte aller Menschen in Deutschland, eine bestimmte Alterskohorte etc. kann diese weiter einschränken. Problematisch ist es, dass die forschende Person nicht wissen kann, wer Kenntnis von der betroffenen Person hat und diese identifizieren könnte. Daher sollte je exklusiver die Informationen sind desto sensibler mit den Daten umgegangen werden.).
Die zweitbeste Möglichkeit der Unkenntlichmachung ist die Pseudonymisierung: die Daten können nur unter Hinzuziehung weiterer Informationen einer Person tatsächlich zugeordnet werden (Dieses trifft auf quantitative Studien zu, bei denen es nicht auf die einzelnen Personen ankommt. Bei qualitativen Studien kann dieses schwer umzusetzen sein.).
Die beste Möglichkeit der Unkenntlichmachung ist Anonymisierung, dabei haben die (verarbeiteten) Daten keinen Bezug zu bestimmten oder bestimmbaren betroffenen Personen (Ziebart 2022, Rn. 26). Dieses sind Daten die nicht der DS-GVO unterfallen, da sie keinen Personenbezug aufwerfen.
5. Hinweise
Geben Sie den betroffenen Personen die Transkription des Interviews zu Durchsicht und Freigabe. Zudem sollte den betroffenen Personen immer das Ergebnis der Studie zur Verfügung gestellt werden. So wird erzielt, dass die Transparenz vorliegt und eine Berichtigung erfolgen kann.
Schon bei der Planung der Studie sollte auf den Datenschutz geachtet werden. In diesem Zusammenhang sollte prognostiziert werden, ob die Studie aufgrund des Datenschutzes realisierbar ist oder nicht (sollen beispielsweise ehemalige Bundeskanzler beforscht werden, so sind dieses Stand 06.01.2023 nur zwei Personen (eine männliche und eine weibliche), die zu verschiedenen Zeiten regiert haben), so dass die Aussagen weitgehend einer der beiden Personen zugeordnet werden könnten). Hierzu ist eine Prognose zu erstellen, inwieweit datenschutzrechtliche Aspekte zu berücksichtigen sind.
Erforderlich ist eine kontinuierliche Reflexion des Datenschutzes während der gesamten Forschungsphase. Es muss festgestellt (und am besten dokumentiert) werden, dass der Datenschutz eingehalten worden ist. Bei Zweifelfragen sollte (rechtliche) Hilfe eingeholt werden. Ebenso verhält es sich mit sensiblen Daten, die nicht dem Datenschutz unterfallen (wie Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse oder vertrauliche Daten aus dem Bereich des Staatsschutzes).
Neben dem Datenschutzrecht ist das Strafrecht zu beachten. Dieses sind bei Video- und Audioaufzeichnungen speziell der § 201 StGB (für Audioaufnahmen, bereits das Aufnehmen) und der § 201a StGB (für Bildaufnahmen), sowie das Kunsturhebergesetz (für Foto- und Videoaufnahmen, speziell deren Veröffentlichung). Derartige Aufnahmen werde i. d. R. in Datenerhebungssituationen erstellt. Eine Einwilligung speziell für derartige Aufnahmen ist daher erforderlich.
6. Fazit
Forscher sollten innovativ sein und bleiben, aber bei der Forschung sensibel für mögliche (rechtliche) Probleme werden/sein/bleiben. Im Zweifel sollte (rechtlicher) Rat eingeholt werden. Bei extremen Zweifeln ist vom Projekt Abstand nehmen.
Ein sorgfältiges Arbeiten und Dokumentieren ist wichtig, damit die Grundsätze des Datenschutzrechts eingehalten und nachgewiesen werden können. Verwertungsarten, die nicht von der ursprünglichen Einwilligung erfasst werden, können durch nachträglich Einwilligungen des jeweils konkret Verarbeitenden, zulässig werden.
Das Beachten und Einhalten der (gesamten) Vorgaben sollte streng vorgenommen werden. So kann erzielt werden, dass alle beteiligten Personen zufrieden sind.
7. Quelle
Ziebart, Wolfgang (2022) DS GVO Art. 4. In: Sydow, Gernot/Marsch, Nikolaus (Hrsg.) DS-GVO/BDSG, 3. Auflage, C. H. Beck, München